Sonntag, 13. November 2005

Meister Eckehart

Gott ist allzeit bereit,
wir aber sind sehr unbereit.
Gott ist uns nahe,
wir aber sind ihm sehr fern.
Gott ist innen,
wir aber sind draußen.
Gott ist in uns daheim,
wir aber sind in der Fremde.

Daß ein Mensch
ein ruhiges Leben in Gott hat,
das ist gut,
daß ein Mensch
ein mühevolles Leben mit Geduld erträgt,
das ist besser,
daß man aber Ruhe hat im mühevollen Leben,
das ist das Beste.

Abgeschiedene Lauterkeit kann nicht beten,
denn wer betet, der begehrt etwas von Gott,
das ihm zuteil werden solle,
oder aber begehrt, daß ihm Gott etwas abnehme.
Nun begehrt das abgeschiedene Herz gar nichts,
es hat auch gar nichts, dessen es gerne ledig wäre.
Deshalb steht es ledig allen Gebetes,
und sein Gebet ist nichts anderes
als einförmig zu sein mit Gott.
Das macht sein ganzes Gebet aus.

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Du brauchst Gott weder hier noch dort zu suchen;
er ist nicht ferner als vor der Tür des Herzens.

Da steht er und harrt und wartet,
wen er bereit finde,
der ihm auftue und ihn einlasse.

Du brauchst ihn nicht von weit her herbeizurufen;
er kann es weniger erwarten als du,
daß du ihm auftust.

Es ist ein Zeitpunkt:
Das Auftun und das Eingehen.

Wo und wann Gott dich bereit findet,
so muß er wirken und sich in dich ergießen;
in gleicher Weise,
wie wenn die Luft klar und rein ist,
die Sonne sich ergießen
muß und sich nicht zurückhalten kann.

Es wäre sicherlich ein sehr großer Mangel an Gott,
würde er nicht große Werke in dir wirken
und großes Gut in dich eingießen,
wenn er dich so ledig und so frei findet.

Es ist ein Augenblick:
Das Bereitsein und das Eingießen.

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Die Seele hat drei Wege zu Gott.

Der eine ist:
mit mannigfaltigem Tun,
mit brennender Liebe
Gott suchen in allem Geschaffenen.
Das meinte König David,
wenn er sprach:
'In allen Dingen habe ich Ruhe gesucht.'

Der andere Weg ist der:
erhaben über sich und alle Dinge sein,
entrückt sein über alles Begreifen
in des himmlischen Vaters Machtbereich.

Der dritte Weg heißet Weg
und ist doch ein Heimweg:
es ist Gott schauen in seiner reinen Selbstheit
ohne Mittelung.

Christus spricht:
'Ich bin der Weg, Wahrheit und Leben.'
Dreies und doch nur eines in Christo.
Auf diesem Weg geleitet werden vom Licht
seines Wortes,
umfangen von der Minne, die beides,
Licht und Wort, vereint,
das geht über alles,
was man in Worten sagen kann.

Wunder über Wunder:
Außen stehen und innen begreifen
und ergriffen werden:
Sehen und das Geschaute selber sein;
halten und gehalten werden;
das ist das Ende,
da der Geist ruht
in Einigkeit der Ewigkeit.